Harte Belastungsprobe in Pflegeeinrichtungen
Der DRK-Landesverband betreibt in der DRK Pflegeeinrichtungen gGmbH sechs Pflegeeinrichtungen und zwei Einrichtungen des Betreuten Wohnens. Geschäftsführer Adrian Gladysz steht in der Corona-Pandemie vor der größten Herausforderung seines bisherigen beruflichen Lebens.
Herr Gladysz, wie geht es den rund 480 Bewohnern in den stationären Einrichtungen?
Zum Glück wurden bisher weder Bewohner noch Mitarbeitende positiv auf das Virus getestet. Aber viele unserer älteren Menschen sind sehr traurig, weil sie keinen Besuch von ihren Angehörigen bekommen und sie weder die Einrichtung noch ihre Wohnbereiche verlassen dürfen. Auch das gemeinsame Einnehmen von Mahlzeiten, wegfallende Zusammenkünfte in den Aufenthalts- und Beschäftigungsräumen sowie der eingeschränkte Bewegungsradius führen dazu, dass sich manche von der Gemeinschaft ausgeschlossen fühlen. Besonders Bewohner, die an einer Demenz erkrankt sind, verstehen nicht, warum sie sich nicht in gewohnter Weise bewegen dürfen und sind deshalb teilweise unruhig. Die Situation ist für alle schwierig, aber wir sind verantwortlich, die Regeln unserer Bundes- und Landesregierung strikt einzuhalten, um die uns anvertrauten Menschen vor Infektionen zu schützen.
Können Sie die gegenwärtigen Entbehrungen etwas kompensieren?
Soweit es möglich ist, organisieren wir zusätzliche Betreuungsangebote und Gespräche, helfen den Bewohnern, mit ihren Angehörigen zu telefonieren oder andere moderne Medien zu nutzen, damit sie ihren liebsten Menschen nahe sein können. Das bedeutet zwar einen höheren Aufwand für uns, aber die Pflegeteams stehen ihnen dabei gerne zur Seite, weil sich solche Kontakte positiv auf die seelische Verfassung unserer Bewohner auswirken.
Wie bewältigen die Pflegeteams die Situation?
Für die Leitungen und Teams aller Einrichtungen ist die Corona-Pandemie eine riesige Herausforderung, die sie immer häufiger an ihre Grenzen bringt – körperlich und psychisch. Die Sorge darum, dass sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen jemand vom Personal anstecken könnte, ist groß, die Folgen sind kaum auszudenken. Die schwere Arbeit in der Pflege und der tägliche Druck, der auf unseren Mitarbeitern lastet, sind immens, denn sie alle haben gleichzeitig eine große Verantwortung gegenüber ihren eigenen Angehörigen. Wir alle motivieren uns gegenseitig, um gemeinsam diese schwere Zeit durchzustehen. Dazu muss ich sagen, dass unsere Mitarbeiterteams sehr kreativ sind, wenn es darum geht, Probleme zu lösen und sich gegenseitig zu unterstützen. Ihnen allen – egal, in welchen Bereichen sie tätig sind, gilt unsere größte Hochachtung. Sie leisten Unbeschreibliches mit hohem persönlichen Einsatz. Ich hoffe, dass die große Welle der Anerkennung durch Politik und Gesellschaft auch nach überstandener Pandemie anhält, dass neue Gesetze für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sorgen – für diejenigen, die immer für Menschen da sind, die ihre Hilfe brauchen.
Herr Gladysz, man mag sich kaum vorstellen, wie groß derzeit Ihre persönliche Verantwortung ist und viele Probleme Sie nachts nicht schlafen lassen. Was bedrückt Sie derzeit am meisten?
Besonders schwer fällt es den Einrichtungsleitern und mir, vor den Mitarbeitern zu stehen und ihnen sagen zu müssen, dass der Nachschub an persönlicher Schutzausrüstung immer noch nicht eingetroffen ist. Unter solchen Bedingungen den Dienst am Nächsten zu leisten, ist in keiner Weise akzeptabel. Ich bin für rund 370 Mitarbeiter verantwortlich, die ich zu schützen habe − die gesund bleiben müssen, damit sie für unsere Bewohner da sein können. Es ist mir unbegreiflich, dass wir über solche elementaren, lebensnotwendigen Maßnahmen überhaupt nachdenken müssen – und dass wir nahezu stigmatisiert sind, hier Abhilfe zu schaffen. Natürlich gibt es auch bei uns Initiativen, den Atemschutz selbst zu nähen. Das haben etliche Einrichtungsleiterinnen mit ehemaligen Mitarbeiterinnen, Angehörigen und ehrenamtlichen Helfern längst auf den Weg gebracht. Etwas erleichtert waren wir, als es uns kürzlich gelungen war, für 15.000 Euro im Internet Atemschutzmasken zu erwerben. Dafür mussten wir den zehnfachen Preis bezahlen – eine unbeschreiblich desaströse Situation, für die mir die Worte fehlen. Ich kann nur hoffen, dass hier sofort Abhilfe geschaffen wird.
Welche Entscheidung der Landesregierung war für die Einrichtungen wichtig?
Dass fast alle Kinder aller unserer Mitarbeitenden die Kitas bzw. Schulen besuchen dürfen – denn es wird jede Hand gebraucht – egal, ob in der Pflege, der Küche oder bei der Reinigung.
Woran denken Sie morgens bei Dienstantritt zuerst?
Dass hoffentlich keiner unserer Bewohnerinnen und Bewohner oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Coronavirus infiziert ist.
Doch was, wenn das nicht so ist und Sie mit den vorhandenen Teams die Arbeit nicht mehr bewältigen können?
Ich wünsche mir inständig, dass diese Situation nie eintritt. Sollte dies doch der Fall sein, hoffe ich unter anderem auf Unterstützung und Solidarität aller zur Verfügung stehenden Kräfte. Beispielsweise von MDK-Mitarbeitern, die in dieser Ausnahmesituation keine Prüfungen durchführen.
Mit welchem Leitspruch bewältigen Sie die täglichen Aufgaben?
Auch in der schwierigsten Situation Ruhe bewahren, zu jeder Zeit überlegt und verantwortungsbewusst handeln, um Menschenleben zu schützen.
Text und Fotos: me/drk