Ein Gespräch mit Martina Gamradt über soziale Wohlfahrtsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern
Soziale Wohlfahrtsarbeit und Jugendsozialarbeit – viele haben ein grobes Bild davon, doch nur wenige kennen die ganze Vielfalt dahinter. Wer macht diese Arbeit? Und warum ist sie so wichtig für unser Miteinander? Martina Gamradt vom Deutschen Roten Kreuz in Mecklenburg-Vorpommern spricht dazu. Sie kennt die Strukturen, die Geschichten – und vor allem die Menschen hinter dieser Arbeit. Für sie ist es mehr als ein Beruf, es ist eine Berufung.
Frau Gamradt, wenn man „soziale Wohlfahrtsarbeit“ hört, denken viele sofort an Kleiderkammern, Familienhilfe, Migrationsberatung – vielleicht auch an Jugendclubs. Aber das ist vermutlich nur ein kleiner Ausschnitt, oder? Was bedeutet soziale Wohlfahrtsarbeit grundsätzlich, und warum ist sie so wichtig?
Viele denken tatsächlich nur an Blutspende oder Kleiderkammern. Dabei umfasst unsere Arbeit viel mehr – und die Gemeinschaft in unserem Verband spielt eine zentrale Rolle. Sie ist in unserer Satzung fest verankert.
Zu unseren Aufgaben gehören Kitas, Sozialstationen, Pflegeeinrichtungen, betreutes Wohnen und – darauf aufbauend – zahlreiche ehrenamtliche Angebote: Vorlesen, Hausaufgabenhilfe, Kaffee- und Spielenachmittage für Senioren. Diese Vielfalt zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist.
Wie sieht das konkret im Alltag aus? Können Sie ein Beispiel nennen?
Sehr beliebt und emotional sind die Besuche unserer Pflegeeinrichtungen durch Besuchshund-Gruppen. Ein anderes Beispiel sind unsere Blutspendetermine: Die Ehrenamtlichen begrüßen die Spender, begleiten sie durch alle Stationen – von der Anmeldung über das Arztgespräch bis zur Liege – und kümmern sich um die Verpflegung. Das muss alles vorbereitet und organisiert werden, was die Mitarbeitenden des Blutspendedienstes allein nicht leisten könnten.
Wer steckt hinter diesen Angeboten? Sind es vor allem Ehrenamtliche?
Beides. Ohne unsere vielen hauptamtlichen Mitarbeiter in den Einrichtungen wäre diese Arbeit nicht möglich. Das Ehrenamt ergänzt dort, wo das Hauptamt endet – zum Beispiel mit gemeinsamen Kochaktionen oder dem Vorlesen der Zeitung. So entsteht Zeit für persönliche Gespräche.
Mecklenburg-Vorpommern ist ein Flächenland mit vielen ländlichen Regionen. Welche Bedeutung hat hier die soziale Wohlfahrtsarbeit?
Gerade im ländlichen Raum ist Ehrenamt eine besondere Herausforderung – vor allem wegen der Mobilität. Öffentlicher Nahverkehr ist oft unzureichend, ein eigenes Fahrzeug ist fast immer nötig. Hinzu kommt: Ehrenamt braucht einen festen Ort. Ein Raum, in dem man sich treffen, austauschen, Kaffee kochen kann. Das kann ein Gruppenraum in einer Kita sein, aber ohne so einen Treffpunkt funktioniert es nicht.
Wie sichtbar ist die Gemeinschaft der Wohlfahrts- und Sozialarbeit?
Schwer sichtbar – unsere Arbeit ist vielfältig, oft im Stillen. Viele Ehrenamtliche wissen gar nicht, dass sie Teil dieser Gemeinschaft sind. Es gibt keine einheitliche Kleidung, keine klaren Zahlen. Während das Jugendrotkreuz z. B. genau weiß, wie viele Gruppen es hat, ist das bei uns komplizierter, weil Ehrenamtliche oft mehrere Rollen gleichzeitig erfüllen. Eine realistische Statistik wäre wichtig, um die Vielfalt zu zeigen.
Sie haben von „den vier anderen Säulen“ gesprochen. Was genau meinen Sie?
Die Bereitschaften, das Jugendrotkreuz, den Rettungsdienst und andere Gemeinschaften im DRK. Diese sind oft sichtbarer – mit einheitlicher Kleidung oder Wettbewerben. Aber wir arbeiten daran, dass auch unsere Gemeinschaft mehr wahrgenommen wird und stärker in andere Bereiche eingebunden ist.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen?
Neben dem demografischen Wandel und Fachkräftemangel ist unsere größte Aufgabe, uns besser an Veränderungen anzupassen. Wir reden viel über Zielgruppen wie die Babyboomer, die heute fitter sind als früher – aber sprechen sie noch zu wenig gezielt an. Wir haben die Strukturen, die Gebäude, die hauptamtlichen Kräfte. Fehlt ein Angebot, könnte es auch selbst aufgebaut werden. Allerdings dauert die Umsetzung oft zu lange – und sie steht und fällt mit vorhandenem Personal.
Sie sind seit vielen Jahren mit Herz und Seele dabei. Was hat Sie ins Ehrenamt gebracht?
Eigentlich war es Zufall. 1990 begann ich als Sekretärin im Kreisverband Wolgast – obwohl ich zuvor Ingenieurin war. Die Grundsätze des DRK haben mich sofort überzeugt. Dann sprang ich kurzfristig für eine Jugendgruppe ein, die sonst ohne Leitung dagestanden hätte. So bin ich hineingewachsen: erst Jugendrotkreuz, dann Katastrophenschutz, schließlich Wohlfahrts- und Sozialarbeit. Und ich bin geblieben.
Frau Gamradt, vielen Dank für Ihre Offenheit und Ihre Arbeit. Soziale Wohlfahrtsarbeit ist menschlich, praktisch und nah dran – sie verbindet Menschen und hält unsere Gesellschaft zusammen.
Das Gespräch führte Antje Habermann, DRK-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.